Beeinflusst Stress unsere Gedächtnisleistung?

Bei Stress-assoziierten Erkrankungen wie der Depression oder der Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) treten häufig erhöhte Konzentrationen des Neuropeptids Corticotropin-releasing Hormone (CRH) im Gehirn auf. Daher wird seit langem vermutet, dass erhöhtes […]

Bei Stress-assoziierten Erkrankungen wie der Depression oder der Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) treten häufig erhöhte Konzentrationen des Neuropeptids Corticotropin-releasing Hormone (CRH) im Gehirn auf. Daher wird seit langem vermutet, dass erhöhtes CRH mitverantwortlich für Krankheitssymptome wie verringerte Merkfähigkeit oder Flashbacks ist. Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Psychiatrie (MPG) nutzten nun eine neue Imagingtechnologie, um den Folgen erhöhter CRH-Mengen für die neuronale Kommunikation auf den Grund zu gehen.

Welche Nervenzellen im Gehirn miteinander kommunizieren, kann seit kurzer Zeit mit Hilfe moderner Fluoreszenzmikroskopie sichtbar gemacht werden. Spezielle Farbstoffe reagieren an den Grenzmembranen von Nervenzellen auf elektrische Impulse und erzeugen fluoreszierendes Licht. Die Aktivitätsausbreitung zwischen einzelnen Nervenzellen oder ganzen Hirnregionen kann so in Echtzeit beobachtet werden.

Im Modellsystem der Maus wurde nun erstmalig der Nachweis erbracht, dass erhöhte CRH-Mengen zu einer deutlich erhöhten Aktivitätsausbreitung im neuronalen System führen. Für das Gehirn bedeutet dies, dass mehr Nervenzellen aktiviert werden. Hält dieser Zustand wie z.B. im Krankheitsfall dauerhaft an, ist mit einer veränderten bis gestörten neuronalen Kommunikation und entsprechenden Veränderungen in Wahrnehmung, Emotion und Verhalten zu rechnen.

Die im Journal of Psychiatric Research veröffentlichte Studie liefert den ersten Nachweis einer durch CRH induzierten, verstärkten neuronalen Aktivitätsausbreitung im Gehirn. Die Wissenschaftler sind davon überzeugt, hiermit eine mechanistische Ursache für psychische Symptome wie kognitive Einbußen bei Depressiven oder immer wiederkehrende Erinnerungen bei PTBS-Patienten aufgedeckt zu haben. (Journal of Psychiatric Research, published online, July 12, 2010)

Dauerhafter Stress macht krank. Besonders anfällig für Überlastung ist unser psychisches Gleichgewicht und reagiert mit Angsterkrankungen oder Depression. Dem Stresshormon CRH, einem Hauptakteur in der hormonellen und neuromodulatorischen Stressreaktion, wird bei der Krankheitsentwicklung eine entscheidende Rolle zugeschrieben. Patienten mit Depression oder Angsterkrankungen reagieren auf Stress mit einer erhöhten CRH-Ausschüttung im Gehirn und weisen eine gestörte Regulation in der Stressreaktion auf. In zahlreichen Tiermodellen konnte der krankheitsfördernde Effekt von erhöhten CRH-Konzentrationen bestätigt werden. Bisher war es jedoch nur auf zellulärer Ebene möglich, die neuromodulatorische Wirkung von CRH zu analysieren.

Der Arbeitsgruppe von Matthias Eder gelang nun die Entwicklung eines in vitro Modells, mit dem die Aktivitätsausbreitung in ganzen Hirnregionen sichtbar gemacht werden kann. Dazu wird Hirngewebe von Mäusen mit Farbstoffen behandelt, welche nach Aufnahme in die Nervenzellen durch elektrische Impulse ihre Fluoreszenzstärke ändern. Nach elektrischer Reizung des Hirngewebes kann die neuronal vermittelte Reizweiterleitung von Hirnregion zu Hirnregion in räumlichen Mikrometer-Schritten und zeitlichen Millisekunden-Intervallen verfolgt werden. Erstmalig können nun die funktionalen Nervenzellnetzwerke der verschiedenen Hirnareale sichtbar, aber auch mögliche Störungen in deren Kommunikation detektiert werden.

Matthias Eder verglich nun die Aktivitätsausbreitung in Hirngeweben von Mäusen vor und nach der Gabe von CRH und konnte eine deutliche Verstärkung der Reizweiterleitung nachweisen. In mit CRH behandeltem Hirngewebe wurden wesentlich mehr Nervenzellen in das Reaktionsnetzwerk mit einbezogen. Dieser Effekt wird direkt über CRH ausgelöst, da Hirngewebe aus Mäusen, denen der spezifische Bindungspartner CRH-Rezeptor 1 fehlt, keine verstärkte Aktivitätsausbreitung zeigte.

„Unsere Studie ist der erste experimentelle Beleg, dass CRH die neuronale Aktivitätsausbreitung im Hippokampus, der zentralen Schaltstelle des limbischen Systems, maßgeblich moduliert. Diese Fähigkeit ist höchstwahrscheinlich an pathologischen Gedächtnisleistungen wie Flashbacks bei der Posttraumatischen Belastungsstörung oder verringerter Merk- und Konzentrationsfähigkeit bei der Depression verantwortlich,“ erläutert Matthias Eder.

In zukünftigen Studien wollen die Wissenschaftler mit Hilfe des neuen in vitro Systems den neuronalen Ursachen psychiatrischer Erkrankungen im Detail auf die Spur kommen und mögliche pharmakologische Eingriffe in die neuronale Kommunikation testen.

Bild: © Maren Beßler / PIXELIO