Im Schlaf verändert sich unser Gehirn

Einzelne Hirnregionen sind nach dem „Kleine-Welt“ Phänomen zu Netzwerken miteinander verbunden. So kommunizieren benachbarte Gebiete über viele kurze Nervenfortsätze miteinander, besitzen aber nur einige wenige Verbindungen zu entfernten Hirnregionen. Der […]

Einzelne Hirnregionen sind nach dem „Kleine-Welt“ Phänomen zu Netzwerken miteinander verbunden. So kommunizieren benachbarte Gebiete über viele kurze Nervenfortsätze miteinander, besitzen aber nur einige wenige Verbindungen zu entfernten Hirnregionen. Der Begriff „Kleine-Welt“ Phänomen stammt aus der Sozialforschung und bezeichnet den hohen Grad abkürzender Wege durch persönliche Beziehung in der sozialen Vernetzung. Viele Menschen haben ein soziales Netzwerk von Familienmitgliedern und Freunden und bilden so ein enges (lokales) Cluster oder eine Clique. Zusätzlich unterhält jeder Mensch auch Beziehungen mit weit entfernt lebenden Bekannten und ist daher sozusagen nur „einen Handschlag“ von deren sozialer Clique entfernt. Auf dieser Grundlage entstand die Kalkulation, dass jede Person über sechs weitere Personen mit jedem Menschen auf der Welt in Kontakt treten kann. Ob dies zutrifft oder nicht, sei dahingestellt, tatsächlich jedoch zeigen soziale Netzwerke neben lokalen auch weit entfernte Partner, wodurch Menschen weit enger und einfacher miteinander verbunden sind, als sie oft annehmen.

Im Gehirn mit einer solchen „Kleine-Welt“ Organisation sind alle Hirnregionen in einer sehr effizienten Weise miteinander verbunden. Der Informationsaustausch erfolgt hierdurch mit maximaler Geschwindigkeit bei gleichzeitig minimalem Energieaufwand. Während die Forschung der letzten Jahre den Nachweis erbrachte, dass unser Gehirn im Wachzustand als „Kleine-Welt“ Netzwerk organisiert ist, zeigen neueste Studien des Max-Planck-Instituts für Psychiatrie (MPIfP), dass diese Netzwerk Organisation im Schlaf verändert wird. Diese Entdeckung erlaubt neue Einblicke in die Funktion des Schlafes bei der Konsolidierung von Erlebtem und Erfahrungen des Tages. (Journal of Neuroscience, published online, August 25, 2010)

Welche genaue Funktion der Schlaf für den Organismus hat, ist seit Jahren ein zentrales Forschungsthema. Doch erst seit kurzem ist die gleichzeitige Messung des Elektroenzephalogramms (EEG) zum Nachweis der unterschiedlichen Schlafstadien, und die funktionale Magnetresonanztomographie (fMRT) zur Darstellung der räumlichen neuronalen Aktivität möglich. In ihrer Studie an jungen gesunden Probanden untersuchten die Wissenschaftler der Arbeitsgruppe von Michael Czisch, wie sich die Grundaktivität des Gehirns während des Einschlafprozesses und der verschiedenen Schlafphasen verändert.

ie Daten erlaubten den Wissenschaftlern zu bestimmen, welche Gehirnregionen eine gemeinsame synchronisierte Aktivität zeigten und somit Teil eines gemeinsamen Netzwerks sind. So zeigt sich im leichten Schlaf eine verstärkte allgemeine Verknüpfung innerhalb des Gehirns, besonders zwischen weit entfernten Regionen, was nahe legt, dass sich neuronale Informationen leicht durch das ganze Gehirn ausbreiten, während lokal nur ein geringer Austausch erfolgt. Auffallend ist jedoch auch eine drastisch reduzierte Verknüpfung des sogenannten Thalamus mit allen anderen Hirnarealen. Da die Funktion des Thalamus unter anderem in der Weiterleitung von externen Reizen besteht, deutet dieser Befund auf eine Ausblendung der störenden Außenwahrnehmung während des Einschlafprozesses hin. Im Gegensatz dazu zeichnet sich der Tiefschlaf durch ein Aktivitätsnetzwerk mit einer verstärkten lokalen Clusterung und einer reduzierten Konnektivität zu weit entfernten Bereichen aus. In diesem Zustand wird Information lokal vermehrt ausgetauscht, aber nicht an entfernt gelegene Hirnregionen weitergegeben.

Diese Ergebnisse zeigen erstmalig die dynamischen Änderungen in der funktionellen Netzwerkorganisation der Hirnaktivität während des Schlafes und erlauben einen neuen Einblick in dessen Funktionen. Seit Jahren wird die kritische Rolle des Schlafs in der Verarbeitung und Speicherung von aufgenommenen Informationen diskutiert. Diese Studie gibt Antworten, wann im Schlaf welche Form der Informationsverarbeitung erfolgt und wie das gesamte Aktivitätsnetzwerk des Gehirns im Schlaf organisiert ist.

Victor Spoormaker, Experimentalpsychologe am MPI, führt dazu aus: „Dem Schlaf, im Besonderen dem Tiefschlaf, wird eine wichtige Rolle bei der Gedächtnisbildung zugesprochen. Wir verarbeiten und speichern neu Gelerntes tatsächlich im Schlaf. Die Frage ist, wann genau im Schlaf solche Informationen erneut prozessiert werden und wann sie als Gedächtnisspuren in speziellen Hirnregionen abgelegt werden. Unsere Ergebnisse dokumentieren nun, dass Tiefschlaf eher ein Stadium des erneuten Prozessierens (in lokalen Clustern) ist und dass in anderen Schlafstadien wahrscheinlich die globale Weiterleitung der Informationen erfolgt.“

Originalveröffentlichung:

Victor I. Spoormaker, Manuel S. Schröter, Pablo M. Gleiser, Katia C. Andrade, Martin Dresler, Renate Wehrle, Philipp G. Sämann and Michael Czisch

Development of a Large-Scale Functional Brain Network during Human Non-Rapid Eye Movement Sleep

The Journal of Neuroscience, August 2010; 30: 11379-11387

Bild: mpg