Der Bundesverband Digitale Wirtschaft (BVDW) e.V. hat heute im Rahmen einer Pressekonferenz ein umfassendes Gutachten zum Haftungsregime für Host- und Access-Provider im Bereich der Telemedien vorgestellt. Das Gutachten geht insbesondere auf den Rechtsrahmen für hoheitliche Sperrungsverfügungen (z.B. Kinderpornographie), das System der abgestuften Verantwortlichkeit nach dem Telemediengesetz (TMG) sowie das Phänomen der sog. Internet-Piraterie im Lichte der Forderung der Rechteinhaber nach einer „Graduated Response“ ein und problematisiert, in welchem Verhältnis die unterschiedlichen Sperranforderungen an die Provider zum geltenden Haftungsregime für Host- und Access-Provider stehen.
Im Zusammenhang mit der jugendmedienschutzrechtlichen Haftung kommt das Gutachten zu dem Ergebnis, dass eine Inanspruchnahme von Access-Providern nur im Rahmen einer gesetzlichen Neuregelung und auch dann nur als „ultima ratio“ sowie regelmäßig nur für Sachverhalte erfolgen darf, die außerhalb der Europäischen Union liegen. Dementsprechend fordert BVDW-Vizepräsident Matthias Ehrlich eine Klarstellung des Gesetzgebers durch eindeutige gesetzliche Regelungen.
„Access-Provider sind für Rechtsverletzungen, die im Internet begangen werden, nicht verantwortlich. Sofern der Gesetzgeber dennoch durch Inanspruchnahme der Access-Provider als „Nichtstörer“ gegen diese Rechtsverletzungen vorgehen will, kann dies nur auf Grundlage klarer gesetzlicher Regelungen erfolgen. Diese müssen auch eine umfassende Freistellung von Haftungsansprüchen sowie eine ausdrückliche gesetzliche Regelung zur Kostenerstattung beinhalten“, so Matthias Ehrlich. „Wir würden uns wünschen, dass in einem rechtsstaatlichen Verfahren eine eindeutige und verbindliche rechtliche Einstufung von Informationen als ‚schwerwiegende Rechtsverletzungen herausragender Rechtsgüter’ vorgenommen wird“.
Sperrungen, also die vollständige Verhinderung der Erreichbarkeit eines rechtswidrigen Inhalts im Internet, sind nach Auffassung des BVDW aufgrund der dezentralen Strukturen des Internet nicht möglich. Allenfalls sind Zugangsbeschränkungen realisierbar, die sich jedoch mit einfachsten Mitteln jederzeit umgehen lassen und zudem teils zu erheblichen Kollateralschäden führen können. „Bei jeder Maßnahme müssen die betroffenen Grundrechte (z.B. Art. 10, 12, 14 und 5 Grundgesetz (GG)) abgewogen werden“, stellt Matthias Ehrlich fest. „Zudem gilt es, das Telekommunikationsgeheimnis zu wahren. Für freiwillige netzbasierte „Sperren“ durch Access-Provider sehen wir aufgrund der gesetzlichen Verpflichtung zur Einhaltung des Telekommunikationsgeheimnisses derzeit keine rechtliche Grundlage“, so Ehrlich weiter.
Zivilrechtliche Haftung von Host-Providern: Rechtsunsicherheit beseitigen
Das Gutachten legt dar, dass die derzeitige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (BGH) zu wettbewerbs¬rechtlichen Verkehrspflichten und zur Störerhaftung im Immaterialgüterrecht zu erheblichen Rechtsunsicherheiten für Host-Provider führt. Das Verbot der Auferlegung allgemeiner Überwachungspflichten wird nicht ausreichend beachtet. Der BVDW verweist klar auf den Gesetzgeber, dessen Aufgabe es ist, zeitnah eine Klärung der aufgezeigten und weitreichenden Probleme und Haftungsfragen herbeizuführen. Sorgfaltspflichten der Host-Provider müssen durch den Gesetzgeber – nicht die Rechtsprechung – definiert werden.
„Aus unserer Sicht sollte die Haftung der Host-Provider in jedem Einzelfall und für jeden Provider gesondert geprüft und festgestellt werden. Auf dieser Basis kann dann eine abgestufte Inanspruchnahme – zunächst der unmittelbar verantwortlichen Content-Provider – erfolgen“, erklärt Rechtsanwalt Gerd M. Fuchs, Justiziar und Referent Medienpolitik beim BVDW. „Wünschenswert wäre zudem eine gesetzliche Bestimmung zur Subsidiarität der Haftung von Host-Providern und die Etablierung eines gesetzlich geregelten „Notice & Takedown“ Verfahrens im Bereich des Immaterialgüterrechts“.
Zivilrechtliche Haftung von Access-Providern: kein Raum für „Graduated Response“
Das Gutachten kommt außerdem zu dem Ergebnis, dass die Rechtsprechung des BGH zur Haftung von Host-Providern nicht auf Access-Provider übertragbar ist. Letztere stellen lediglich die Verbindung zu dem weltweiten Kommunikationsnetz her, ohne dabei in irgendeiner Weise über Inhalte und die Form der Angebote und Webseiten bestimmen zu können und zu wollen. Der Transport fremder Informationen über die Infrastruktur der Access-Provider ist jederzeit inhaltsneutral, d.h. der erbrachte Telekommunikationsdienst erschöpft sich in der technischen Übermittlung von Datenpaketen, ohne dass diese inhaltlich zu qualifizieren wären.
Eine Inanspruchnahme von Access-Providern im Hinblick auf die Verletzung von Immaterialgüterrechten wie bspw. Urheberrechte durch deren Kunden scheidet nach Auffassung des BVDW ebenfalls aus. „Hier ist allenfalls die Einführung von allgemeinen Informations- und allgemeinen Aufklärungspflichten gegenüber den Endkunden denkbar“, so Matthias Ehrlich.
Im Hinblick auf die Haftung der Access-Provider fordert der BVDW eine Klarstellung im Gesetz, dass Access-Provider aufgrund ihrer inhaltsneutralen Tätigkeit generell nicht für Rechtsverletzungen Dritter haften und regt eine gesetzliche Konkretisierung von allgemeinen Informations- und Aufklärungspflichten der Provider gegenüber ihren Kunden an. „Individuellen Vereinbarungen zwischen Rechteinhabern und Providern – etwa nach dem französischen und englischen Modell einer „Graduated Response“ (Olivennes) – erteilt der BVDW mangels eines gesetzlich geregelten Rahmens unter Interessensabwägung und Ausgleich sämtlicher betroffener Grundrechtspositionen allerdings eine klare Absage“, unterstreicht Fuchs. „Der neu geschaffene immaterialgüterrechtliche Drittauskunftsanspruch aus § 101 Abs. 2, Abs. 9 UrhG ermöglicht den Rechteinhabern ein unmittelbares Vorgehen gegen Rechtsverletzer. Weitergehende Schritte ohne Bewertung dieses neuen Instruments der Rechtsverfolgung sind aktuell nicht angebracht“, resümiert BVDW-Vizepräsident Matthias Ehrlich.
Das vollständige Gutachten kann hier geladen werden
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