Jeder dritte Energieversorger steckt in der Klemme

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© Bernd Boscolo / PIXELIO

Jeder dritte Energieversorger im deutschsprachigen Raum muss langfristig um seine Existenz bangen. Insbesondere kleinere Versorgungsunternehmen verzeichnen jüngst massive Ergebniseinbußen und sind auf kommende Herausforderungen nicht vorbereitet. Angesichts von härterem Preiswettbewerb, steigender Wechselbereitschaft, dem Trend zum Energiesparen, Fachkräftemangel und der Konkurrenz durch internationale Player sehen die Verantwortlichen deutlichen Handlungsbedarf. Bei Versorgern ganz oben auf der Prioritätenliste: Veränderungen herbeiführen, Talente entwickeln, Innovationen schaffen und unternehmerisch im Markt agieren. Das ist das Ergebnis einer aktuellen Studie, für die der Managementberatungs-, Technologie- und Outsourcing-Dienstleister Accenture in Zusammenarbeit mit der Jacobs University Bremen über neun Jahre hinweg die wirtschaftliche Entwicklung von 121 Energieversorgern in Deutschland, Österreich und der Schweiz untersucht und 105 Führungskräfte aus der Energiebranche nach künftigen Erfolgsfaktoren befragt hat.Der Studie zufolge blickt jeder dritte Versorger nicht nur auf eine schwache Ergebnisentwicklung in der Vergangenheit zurück, sondern ist auch auf die künftigen Herausforderungen im Markt nicht vorbereitet. Diese Gruppe der „Gefangenen“ macht 37 Prozent aus. Nur 29 Prozent der betrachteten Unternehmen haben in den letzten Jahren überdurchschnittliche Ergebnisse realisiert und gleichzeitig ihre Fähigkeiten dahingehend entwickelt, um Marktchancen in der Zukunft für sich nutzen zu können („Leuchttürme“). 19 Prozent der Unternehmen („Herausforderer“) weisen einen geringen vergangenen Erfolg auf, dem ein hoher zukünftig erwartender Erfolg gegenüber steht – was darauf hindeutet, dass der Grundstein künftiger Wettbewerbsfähigkeit unter Inkaufnahme vergangener Erfolgseinbußen gelegt wurde. Als „Abschöpfer“ tun sich 15 Prozent der Unternehmen hervor, die in der Vergangenheit überdurchschnittliche Ergebnisse realisieren konnten, jedoch vor dem Hintergrund von nicht entwickelten Fähigkeiten heute vor großen Herausforderungen stehen.

Kleine Versorger sind die Sorgenkinder
Der Unterschied zwischen den erfolgreichen und den weniger erfolgreichen Energieversorgern war nie größer als heute – die Schere geht weiter auseinander. „Die Unternehmen der Branche werden heterogener, sie differenzieren sich mehr und mehr“, sagt Prof. Dr. Andreas Bausch, Professor für Strategische und Internationale Unternehmensführung an der Jacobs University Bremen und der Friedrich-Schiller-Universität Jena. „Unterschiede struktureller Art werden mit Fortschreiten der Liberalisierung nach und nach von abweichendem strategischen Handeln überlagert – was sich über alle Stufen des Strom- und Gasgeschäfts erstreckt“. Dabei wird deutlich: Fehlende Größe ist offensichtlich auch in der Energiewirtschaft ein Nachteil. Während die Großen ihre Umsatzrendite weitestgehend stabil halten konnten, haben insbesondere die kleinen Unternehmen erhebliche Einbußen zu verzeichnen gehabt. Das wirtschaftliche Ergebnis der kleinen Versorger liegt erstmals seit dem Start der Erhebungen im Jahr 1999 deutlich hinter dem der größeren Energieversorger. Bei den kleinen Unternehmen mit weniger als 300 Mitarbeitern kommt es im zuletzt untersuchten Zeitraum 2005 bis 2007 zu einem massiven Ergebnisrückgang von mehr als fünf Prozent.

„Für kleine Versorger gilt, vorhandene Größenvorteile in Vertrieb, Shared Service, Netz und Erzeugung so zu realisieren, dass sie einerseits den eigenen Marktauftritt nicht gefährden. Andererseits sollten sie die Vorteile kleinerer Einheiten – nämlich Geschwindigkeit, Marktnähe und Innovationskraft – dort nutzen, wo es Mehrwert bringt“, sagt Michael Nolte, Geschäftsführer des Bereichs Energieversorgungswirtschaft bei Accenture.

Energieversorger sind finanziell flexibel – noch
Zwar sank der Verschuldungsgrad der untersuchten EVU von 142 Prozent in 1999 auf 133 Prozent in 2007. Dieser Entwicklung steht jedoch ein steigender Investitionsbedarf in den kommenden Jahren gegenüber, sei es, aufgrund neuer Technologien wie beispielsweise Energiespeicherung oder intelligenten Stromzählern (Smart Metering). „Wir rechnen damit, dass es nicht zuletzt infolge sinkender operativer Cashflows bei gleichzeitig steigendem Finanzierungsbedarf in den kommenden Jahren zu weitaus kleineren Handlungsspielräumen bei den Gewinnausschüttungen kommt“, sagt Prof. Dr. Andreas Bausch. Betrachtet man den Studien-Zeitraum 1999-2007, sind die Gewinnausschüttungen noch um fast 40 Prozent gestiegen.

Wo Versorger Handlungsbedarf sehen
Fragt man die Versorger nach den Faktoren, die künftig den größten Einfluss auf die Branche haben werden, steht das Thema Fachkräftemangel ganz oben auf der Agenda, gefolgt vom Gaspreis, der Wechselbereitschaft im Industriekundenmarkt, dem Preiswettbewerb und der Zusammenschluss zu Netzwerken. Den größten Handlungsbedarf in der Zukunft sehen die Befragten in puncto Veränderungsfähigkeit. Als weitere Prioritäten werden genannt: Personalentwicklung, strategischer Einsatz von IT, Prozessinnovation und Personalführung. Während bei den Stadtwerken zusätzlich die Akquisition von Privatkunden im Vordergrund steht, haben sich die Regionalversorger und multinationalen Konzerne mehr unternehmerisches Denken und Handeln auf die Fahne geschrieben. Auf die Frage „Welches Unternehmen im deutschsprachigen Energiemarkt würden Sie am unternehmerischsten beurteilen“? antworteten die Teilnehmer der Studie: E.ON, MVV, Trianel, RWE und EWE (Platz 1 bis 5, sortiert nach der Anzahl der Nennungen).

„Neue Produkte, Dienstleistungen und Prozesse werden künftig eine zentrale Rolle spielen, gepaart mit dem richtigen Instinkt, neue Geschäftsgelegenheiten aktiv zu suchen, um im Markt wachsen zu können“, sagt Michael Nolte. „Im Vergleich zu den Monopoljahren erwartet die Öffentlichkeit von der Energiewirtschaft jetzt innovative Lösungen, insbesondere für Herausforderungen bei den Themen Klimaschutz und Energieeffizienz. Will ein Versorger von diesen Chancen profitieren, muss er jedoch zunächst ein neues Nutzenversprechen definieren und das Unternehmen in Folge konsequent danach ausrichten – was nur im Zuge einer fundamentalen Erneuerung des Geschäftsmodells gelingt“.